Moderne hightech-basierte Wundversorgung beschleunigt die Genesung von Krankheiten und Verletzungen, deren Heilung bis vor wenigen Jahren noch langwierig und kompliziert war. Dies stellt aber auch besondere Anforderungen an die eingesetzte Technik. Maßgeschneiderte Lösungen auf Basis von Standardkomponenten des Display- und Mikrocontroller-Spezialisten Garz und Fricke helfen bei der Umsetzung – wie am Beispiel der Curasul®-Therapieeinheit für die Unterdruck-Wundversorgung (engl. Negative Pressure Wound Therapy, NPWT) von BSN medical zu sehen ist.
Die BSN Curasul® ist ein System zur Wundversorgung und ist eine gemeinsame Geräteentwicklung der CogniMed GmbH und der BSN medical GmbH nach Vorgaben des Auftraggebers der BSN medical GmbH. Das Gerät wurde sowohl für den Klinikeinsatz als auch für die Pflege und Betreuung im häuslichen Umfeld entwickelt. Das Hauptwirkprinzip: Unterdruck.
„Wunden heilen besser, wenn ein Unterdruck anliegt“
Hierfür wird, beispielsweise bei einer tiefen Wunde, ein steriler Wundschaum eingebracht und flächig mit einer Folie luftdicht verklebt. Die entstehende Wundflüssigkeit (Exsudat) wird mittels eines Vakuumpads mit entsprechendem Schlauchsystem durch ein Pumpenmodul abgesaugt und in einem geschlossenen Behälter aufgefangen. Dabei muss sichergestellt werden, dass der eingestellte Unterdruck, der über der Wunde anliegt, konstant bleibt. Dafür sind zuverlässige Sensoren und eine ausgeklügelte Regelungselektronik unabdingbar.
Der „Druck-Heiler“ mit Namen Curasul® fördert nicht nur die Wundheilung, sondern steigert auch das Wohlbefinden der Patienten.
Großflächige, nur schwer heilende Wunden können unangenehme Gerüche entwickeln oder sogar im schlimmsten Fall Infektionen hervorbringen, die die Heilung behindern. Dem wirkt Curasul® entgegen. Sie saugt nicht nur Wundflüssigkeiten (Exsudat) ab, sondern führt die Luft durch spezielle Bakterien-Barriere-Filter bzw. Aktivkohlefilter, sodass Gerüche deutlich gemindert werden. Ein großes Plus für den Patienten, der sich wieder ohne Angst vor üblen Gerüchen in die Öffentlichkeit trauen kann. Auch optisch gibt sich die kompakte Therapieeinheit zurückhaltend. Mit nur 17,5 cm Breite, 19 cm Höhe und 11,5 cm Tiefe schränkt sie die Patientenmobilität nicht ein. Wird sie im dazugehörigen Tragegurt verwendet, kann Curasul® dank ihrer verbauten Akkus bis zu 24 h mobil eingesetzt werden und verschafft dem Patienten neue Freiheiten außerhalb des Krankenbetts.
An der Realisierung der Therapieeinheit war Garz und Fricke direkt und maßgeblich beteiligt. Bei der Entwicklung wurde das Gerät in Komponenten gegliedert, sodass eine klare Aufgabenteilung und Zuständigkeit der einzelnen Unternehmen festgelegt werden konnte. Garz und Fricke war für das Bedienteil aus Display, Touch-Schnittstelle und Recheneinheit – dem sogenannten Human Machine Interface (HMI) verantwortlich. Dabei mussten die Entwickler einige Herausforderungen meistern.
Gefordert wurde ein HMI, dass State-of-the-Art-Grafik anzeigen kann und dabei nicht nur ein modernes Bedien-Interface mitbringt, sondern auch durch schnelle Reaktion und einfache Programmierung überzeugt.
Gefordert wurde ein HMI, dass State-of-the-Art-Grafik anzeigen kann und dabei nicht nur ein modernes Bedien-Interface mitbringt, sondern auch durch schnelle Reaktion und einfache Programmierung überzeugt.
Mit Blick auf die künftige einfache Wartbarkeit und der Liefersicherheit von Baugruppen suchten BSN medical und CogniMed dafür nach modifizierbaren Standardgeräten und wurden bei Garz und Fricke fündig. Die Baureihe „Santino LT“ ist für kleine Displays optimiert und wie geschaffen für diese Anwendung. Das All-in-One-Modul besteht aus einem 5 Zoll großen Display mit resistivem Touch-Interface und dem dazugehörigen Single-Board-Computer mit i.MX6 Prozessor, sowie der Mechanik. Das Display im modernen Design ist einbaufertig und somit sofort einsetzbar. Bei der Displaywahl stehen Auftraggeber prinzipiell vor der Wahl: resistiv oder doch kapazitiv? Jede Technik hat ihre Vorzüge. Die berührungsempfindliche Oberfläche mit resistiver Technik hat den Vorteil, gut mit Handschuhen bedienbar und unempfindlich gegen elektromagnetische Störungen und Feuchtigkeit zu sein. Kapazitive Touchscreens dagegen kommen auch mit Eingaben mehrerer Finger klar (Multitouch) wie zum Beispiel Zoom-Gesten. Außerdem ist ihre Touch-Oberfläche oftmals robuster. Doch extreme Widerstandskraft und Multitouch waren beim Curasul nicht gefragt, wodurch die Wahl auf den Santino LT mit resistivem Display fiel.
CogniMed entschied sich für den Santino, weil der Single-Board-Computer mit einer Vielzahl an Schnittstellen ausgestattet ist und mit einem optimierten Yocto-Linux und dem Grafik-Framework Qt arbeitet. Yocto ist dabei kein eigenständiges Linux-System, sondern vielmehr ein Baukasten, aus dem sich die Entwickler bedienen können. Es zeichnet sich vor allem durch seine standardisierte Architektur und hohe Anpassbarkeit aus. Während der Einsatz von Yocto den Entwicklern von CogniMed entgegen kam, war die Nutzung von Qt ausschlaggebend, da es eine der Vorgaben seitens BSN medical war, um auch zukünftige Erweiterungen einfach durchführen zu können.
Vor Auslieferung an CogniMed waren noch umfangreiche Anpassungen an Yocto notwendig. Das Betriebssystem wurde auf den mobilen Akkubetrieb hin optimiert. Schließlich sind das Display und die Displaybeleuchtung neben dem Pumpenmodul die größten „Stromfresser“. Gemäß Anforderung muss die gesamte Curasul-Einheit auch ohne Stromnetz bis zu 24 h völlig autark laufen können. Um dies zu gewährleisten, konzentrierten sich die Entwickler bei Garz und Fricke speziell auf die Energiesparmodi „Standby“ und „Deep Sleep“ und passten sie der Hardware an. Beide Modi müssen gerade in einem medizinischen Produkt perfekt funktionieren. Nicht nur das Feature „Schlafen legen“ ist dabei kritisch, sondern auch die Funktion „Aufwachen“. Beides muss sehr zuverlässig funktionieren und deshalb ausgiebig getestet werden.
„Standby und Deep-Sleep sind nicht trivial“
„Da diese Funktionen auf Desktop-PCs selten umgesetzt werden, sind die Funktionen nur schlecht getestet oder teils gar nicht implementiert. Zwar ist die Qualität des Linux-Kernels in dieser Hinsicht deutlich besser geworden, aber trotzdem müssen wir die Software für jedes BSP (Board Support Package) individuell anpassen und testen.“ Die Schwierigkeit bestand darin, jede Einheit zum richtigen Zeitpunkt abzuschalten, wenn das Signal zum „Sleep“ kommt. Da jeder Treiber anders reagiert, muss man exakt wissen, wie die einzelnen Soft- und Hardwaremodule voneinander abhängen. Ist die Reihenfolge dann klar, werden die Sleep-Modi auf dem Zielgerät implementiert und anschließend in einer automatisierten Umgebung intensiv getestet.
„Insgesamt treiben wir einen großen Aufwand, der in der Branche so nicht selbstverständlich ist.“
Garz und Fricke optimierte neben den Stromsparmodi noch weitere Komponenten des Systems. Beispielsweise wurden unter anderem nicht benötigte Einheiten auf dem Board abgeschaltet. Dadurch arbeitet das System extrem energieeffizient und zuverlässig. Nicht nur die aktuellen Kunden CogniMed bzw. BSN profitieren von den Anpassungen. Denn die Optimierungen in Sachen „Standby“ und Energieverbrauch wurden in das Linux-Image übernommen und werden künftig weitergepflegt. Mit dem fertigen Image wiederum konnte CogniMed direkt weiterarbeiten und profitiert von künftigen Updates.
Eine weitere Besonderheit bei der Software-Entwicklung zeichnet Garz und Fricke aus: Detaillierte Release Notes und eine umfangreiche Dokumentation. Gerade die umfangreichen Release-Notes mit detaillierter Auflistung verwendeter Software und Lizenzen helfen bei der Bewertung nach dem medizinischen Softwareentwicklungsstandard DIN EN 62304. So sehen Entwickler auf einen Blick was wann, wie und in welcher Version vorgenommen oder geändert wurde. Auch die durchgeführten Tests werden genau dokumentiert. Außerdem sind alle bereits bekannten, aber noch nicht behobenen Fehler aufgeführt. Von dieser Transparenz profitieren die nachfolgenden Entwickler, die so ein hilfreiches Werkzeug für die weitere Risikobewertung bekommen.
Durch die langjährige Erfahrung von Garz & Fricke und CogniMed im Bereich der elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) und standardmäßig durchgeführten Modul-EMV-Tests konnten auch die strengen Auflagen der Medizin-EMV-Norm DIN EN 60601-1-2 selbst in der 4. Edition und der Klasse B problemlos zuverlässig erfüllt werden.
Zwar ist das Santino LT als Standardprodukt verfügbar, musste aber auf die Anforderungen der beteiligten Partner adaptiert werden. Durch eine optimierte kompakte Form passte das Displaymodul samt Elektronik besser ins Curasul-Gehäuse und ließ sich effizienter sowie kostengünstiger produzieren. Dies hatte sich bei den Abstimmungen vor Projektstart herauskristallisiert.
„Die konstruktive Zusammenarbeit zu Beginn war sehr fruchtbar und erwies sich als absolut vorteilhaft. Garz und Fricke machte uns auf mögliche Schwierigkeiten aufmerksam, die dann gleich behoben werden konnten“
„Eine davon hätte die Verklebung von Display und Gehäusedeckel werden können. Schließlich müssen beide perfekt passen. Dazu braucht es einige Erfahrung im Umgang mit den passenden Klebstoffen und Displays. Das führte dazu, dass wir den Klebeprozess an Garz und Fricke mit ihrer langjährigen Erfahrung in diesem Bereich abgegeben haben, so konnten wir sicherstellen, dass der Touchscreen perfekt funktioniert.“ Das Santino-LT-Board wird nun nicht wie sonst üblich eingeklipst, sondern direkt mit dem Oberteil des Gehäuses bündig verklebt. Das Display wird also direkt in die Frontschale integriert. Die zusätzlichen physischen Bedienelemente sind Teil der aufgeklebten Deckfolie. Dadurch konnte auf einige redundante Teile wie Halteelemente oder einen zusätzlichen „Display-Deckel“ verzichtet werden, was die Gesamtlösung deutlich günstiger macht. Der Beitrag seitens Garz und Fricke zur Curasul-Therapieeinheit geht noch weiter. Die Hamburger Elektronik-Spezialisten haben auch die Fertigung anderer zentraler Komponenten des Systems übernommen. Das zusätzliche Controller Board mit eigenem Prozessor steuert neben Pumpenmodul und Ventilen alle medizintechnikrelevanten Funktionen. Bei der Entwicklung wurden alle Maßnahmen zur Minderung des Risikos nach DIN EN ISO 14971 und DIN EN 60601-1 berücksichtigt. Das Board wurde bei CogniMed entwickelt und verifiziert.
„Wir haben uns für die Fertigung bei Garz und Fricke entschieden, weil wir so alles aus einer Hand und in bester Qualität bekommen.“
„So ist Garz und Fricke u. a. nach dem Qualitätsmanagementstandard DIN EN ISO 13485 für die Fertigung medizinischer Elektronikbaugruppen zertifiziert.“
Mit den Änderungen am Standardprodukt und der Auftragsfertigung einher gingen auch Änderungen im gesamten Produktionsablauf. Garz und Fricke passte daraufhin seine Fertigungsschritte und die Lieferkette an. Schlussendlich wurde auch die Produktionsreihenfolge durch ein intelligentes Supply-Chain-Management auf das Endprodukt optimiert. Dadurch wurde es möglich, ein kundenspezifisches Produkt zu liefern, das günstiger als ein Standardprodukt ist und trotzdem „Made in Germany“ entwickelt und gefertigt wird. „Garz und Fricke fügt sich mit seinen Leistungen und Produkten nahtlos in den Gesamtfertigungsprozess ein,“ resümiert Holger Panier von CogniMed, „Wir bekommen ein System, das ausführlich getestet und direkt einsetzbar bzw. lauffähig ist. Darüber hinaus übernimm Garz und Fricke auch das Obsoleszenzmanagement für die verwendeten Bauteile. Das ist sehr vorteilhaft.“ Außerdem wurden die von CogniMed gewünschten Anpassungen schnell und direkt zuverlässig umgesetzt. Auch das gute Preis-Leistungsverhältnis war ein Argument für Garz und Fricke. Panier lobte die gute und konstruktive Zusammenarbeit: „Schon in der Einarbeitungsphase lief die Zusammenarbeit bereits reibungslos.“